Letztes Jahr kam ich geradezu euphorisch von der rp12 Tag 1 und Tag 2 zurück.
Ein wenig war es für mich ein nerdiges und intelligentes Karneval gewesen.
Dieses Jahr kaufte ich ein Ticket, nahm Urlaub, stellte fest, dass ich nicht genug Urlaub habe, stornierte den Urlaub, switchte Urlaubstage hin und her und bin nun für einen Tag und 150 Euro Eintrittsgeld nach Berlin gefahren.
Ich nehme mal an, es gibt gute Gründe warum die re:publica nicht am Wochenende oder an Feiertagen stattfindet aber für Leute wie mich, die dieses Internet in ihrer Freizeit vollschreiben und ein Familienleben koordinieren müssen, ist das unpraktisch.
Wenn ich mich recht erinnere, wurde im Rahmen der Eröffnung die gesellschaftliche Mitte angesprochen, die noch zu erreichen ist aber das wäre sicherlich leichter, wenn diese nicht gleich drei Urlaubstage nehmen muss.
Beeindruckend war, wie gut dieses Jahr das Internet funktionierte. Kein Ausfall, bester Empfang. Ich wünschte, das Dorf in dem meine Eltern wohnen, würde so guten Empfang haben.
Dafür werde ich nächstes Jahr ein Lunchpaket mitnehmen. Trotz fairer Preise und netten Mitarbeitern, sollte man sich ca. 60 Min vor dem Hunger an die langen Schlangen anstellen und sich dann gleich für mehrere Mahlzeiten eindecken.
Der Affenfelsen ist dieses Jahr ein Labyrinth. Ich wollte Michaela begrüßen und nicht wild rufend wie eine Furie über die Sitzkonstruktion steigen. Nach meinem kleinen Umweg zum nächsten Ausgang war sie dann leider weg.
Mein erstes Panel „Aufruf zum metakulturellen Diskurs“ von Gunter Dueck war nett, hatte aber so viel Neuheitenwert wie wenn man bei einem Gynäkologenkongress Bilder von Vulvas zeigte. Ich nutze die Zeit um Instagram-Bilder anzuschauen und zu liken.
Auch Kathrin Passigs „Mass Customization: Da geht noch mehr“ blieb unter meinen Erwartungen. Das ist ein wenig unfair von mir, denn meine Erwartungen waren auch sehr hoch.
Ein paar Minuten sah ich noch vom Panel „Ecstasy and despair: how powerful emotions trigger digital activism“ von Deanna Zandt und war vor allem von ihrer Bühnenpräsenz angetan.
Geradezu euphorisch wurde ich bei Laurie Penny und ihrem Vortag zu „Cybersexism“. So klug, prägnant und witzig über Sexismus im Netz zu sprechen, hat mich schwer beeindruckt.
Im Grunde hat sie es auf den Punkt gebracht indem sie sagt, dass die Warnung sich als Frau im Netz aufzuhalten und aufzufallen nichts anderes ist, als die früheren Warnungen Frauen gegenüber nicht zu reisen, nicht zu arbeiten, nicht in Männerdomänen vorzudringen.
Das Ziel ist es, Frauen aus dem öffentlichen Raum (des Internets) fernzuhalten.
Daher bringt es auch nicht wirklich was, Safe Spaces für Frauen zu schaffen. Viel sinnvoller wäre einfach, wenn allgemein akzeptiert würde, dass Frauen Teil des öffentlichen (digitalen) Raums sind.
Dabei appelliert Penny gleichzeitig an die männlichen Nutzer, dass Frauen im Netz den Raum nicht wegnehmen wollen, dass Frauen keine Konkurrenz sondern Partner sind. Klingt logisch, ist es auch, aber irgendwie muss diese Nachricht noch richtig ankommen.
Da ich von YouTube keine Ahnung habe, setzte ich mich die von Johnny Häusler sehr angenehm moderierte Diskussionsrunde „YouTube macht die Stars von morgen“.
Mir gefielen die in kurzen Clips vorgestellten Kanäle von LeFloid, Amy Herzstark und Simon W. auch wenn sie teilweise an die erwachsenen Besucher der re:pbulica angepasst wurden (nicht die Kanäle, sondern die Vorstellungsclips).
Ok, ich bin alt. Junge Menschen passen ihr Programm an meine Sehgewohnheiten an.
Apropos, gibt es auch spannende YouTube Kanäle für oder von Menschen ab 30?
An diesem Punkt war sowohl mein Akku als auch ich alle. Ich mag, dass mein iPhone und ich den gleichen Zyklus haben.
Nach einer Pause, besuchte ich als nächstes „Comic misunderstanding – A conversation with Graham Linehan“. Linehan ist der Autor und Regisseur von The IT-Crowd. Auch hier wieder ein schönes und im besten Sinne kurzweiliges Gespräch. Und ich mag den Gedanken, dass ich in einem Raum mit dem Mann war, der mich fast jeden Tag meine Kollegen fragen lässt: „Have you tried turning it off and on again?“
Zum Schluss der alljährliche Überraschungsvortrag von Sascha Lobo. Leider parallel zu „Das heilige Abendmahl“, das ich mir auch sehr gern angesehen hätte. Nach welchen Kriterien wird eigentlich entschieden, wer den ungeliebten Panel-Termin parallel zum loboischen Überraschungsvortrag erhält?
Bei technikaffinen Veranstaltungen finde ich es immer besonders charmant, wenn die Technik nicht funktioniert. Das ist ein wenig so, als würde eine Primaballerina auf der Bühne pupsen. Aber auch mit Neustart und ohne Filme war schnell klar, dass der Vortrag auf ein großes Highlight hinauswollte, mir die Hälfte des Spannungsaufbaus allerdings gereicht hätte.
Mal abgesehen davon, dass sich Sascha Lobo mehr Wut und Pathos wünscht, hat er zusammen mit Felix Schwenzel das Projekt reclaim-social-media entwickelt. Wenn ich das richtig verstanden habe, kann man hier seine gesamten Social-Media Output sammeln, ohne dabei die „Macht“ über den eigenen Content zu verlieren. Das sieht dann so aus. Technischere Details finden sich hier.
In den nächsten Tagen werde ich mich mal näher damit beschäftigen und wenn ich nicht an technischen Details scheitere, kann ich mir vorstellen, dass das eine ausgesprochen feine Sache ist. Derzeit sammle ich nämlich meine Inhalte auf Facebook und bin mit dieser Lösung nur mittelmäßig zufrieden.
Alles in allem war ich auch dieses Jahr wieder schwer beeindruckt von der re:publica. Von ihrer – im besten Sinne – professionellen Organisation, von der liebevoll durchdachten Optik, der Vielfalt der Vorträge, Themen und Besucher. Davon, dass es offenbar besonders gutes Wetter zur rp gibt und dass aus einer kleinen guten Idee über wenige Jahre eine wirklich tolle, große und bedeutende Konferenz geworden ist.
(#)